Agiles Arbeiten - ein Trauerspiel?

Sind wir doch mal ehrlich: der Hintergedanke von agilem Arbeiten bezogen auf seine Werte, war auch in den 90er Jahren, als alles begann, nichts Neues. Schon in den 50er Jahren hat Kurt Lewin im Hawthorne Experiment erkannt, dass die im Taylorismus begründete Trennung von Denken und Handeln nur zu einer geringen Produktivität führt. 

 

Aber zurück zur Entstehung von agilem Arbeiten: Wie wir alle wissen, hatte es seine Ursprünge in einem radikalem Umdenken Projekte kundenorientiert und vor allem an sich stetig verändernde Umstände anzupassen. Es war eine kleine Revolution im Projektmanagement. Heute ist Agiles Arbeiten so weichgekocht, dass man meistens nur noch Hüllen agilen Arbeitens unter dem Deckmantel der alten Arbeitskultur finden kann. Denn die Unternehmen passen die Konzepte so weit an die Bedürfnisse des Unternehmens an, dass sie sich gar nicht mehr verändern müssen. (Lies hier den Artikel zu Dark Agile) So bleibt es bequem für alle ManagerInnen und Strukturen und Prozesse müssen auch erstmal nicht verändert werden. Und ich spreche hier nicht von ersten Schritten in der Agilität oder Pilotprojekten. 

Was wollte agiles Arbeiten ursprünglich erreichen?

Agiles Arbeiten wollte sich von den Fesseln des Projektmanagements lösen, weg von unnötigen Meetings, weg von überhandnehmender Dokumentation und Reporting, weg von der Starre - hin zu:

 

  • Das Richtige bauen und immer besser darin zu werden das Richtige zu bauen 

  • Fehler nicht zweimal zu machen 

  • Zufriedenen Kunden (Kundenorientierung) und Flexibilität

  • Selbst zufrieden zu werden 

 

Als einige Agilisten erkannt haben wo die Reise der letzten Jahre hinführte - nämlich nicht ins Happy End, haben sie Modern Agile ins Leben gerufen.

Modern Agile - oder auch Agil 2.0

Wir gehen zurück auf Los und ziehen keine 2.000 Euro ein. Dafür gehen wir in uns und überlegen: was lief schlecht? Was lief gut? und was sollte anders sein? 

Der Kern von agilem Arbeiten besteht aus Kollaboration, Auslieferung von Inkrementen, kontinuierliche Reflexion und der daraus entstehenden Verbesserung des Produkts, der Zusammenarbeit und der Prozesse. Mit Hilfe dieser Elemente wurde Modern Agil entwickelt - eine Fokussierung auf die eigentlichen agilen Werte.

 

Make people awesome

Mitarbeitende sind bereits genial - wir müssen ihnen nur wieder die Freiräume geben ihr Potential und Kreativität entfalten zu können. Das können sie nur in einem respektvollen, wertschätzenden und unterstützenden Umfeld. Gleiches gilt übrigens auch für den/die Kunden. 

 

Ein besonderes Anliegen ist mir Folgendes: verfallt nicht in den Cargo Cult (Hier findest du den Artikel dazu). Make People Awesome erscheint häufig in einer Hülle in Unternehmen, unter dessen Deckmantel jedoch die gleichen Werte und Kultur weitergelebt wird wie zuvor.

 

Deliver value continuously 

Um fokussiert an der Produktentwicklung arbeiten zu können und tatsächlich regelmäßig Wert ausliefern zu können, reicht es nicht nur in Zyklen zu arbeiten. Die Mitarbeitenden brauchen ein klares Ziel und einen Sinn. Dabei werden sie durch eine starke Vision, Mission und OKRs durch den nebligen Arbeitsalltag und ständig verändernde Kontexte geleitet.

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Darüber hinaus brauchen die Teams die Erlaubnis sich stetig verbessern zu können. Denn Verbesserungen können auch unbequem sein oder in eine andere Richtung gehen als ursprünglich gedacht. Hängen hier also Befindlichkeiten an einer konkreten Vorstellung zum Endprodukt, so kann es schnell mal zur Stagnation der Verbesserung kommen. 

 

Unterdessen kann auch die Unternehmenskultur verhindern regelmäßige Inkremente auszuliefern. Herrscht Angst Fehler zu machen (und hat dies im schlimmsten Falle auch Konsequenzen für das Selbst und den eigenen Job), dann werden Mitarbeitende nur zögerlich Inkremente herausgeben - und das nur nach penibler Prüfung. Das passiert auch wenn Mitarbeitende das Gefühl haben nicht genug zu wissen oder es nicht können. Das macht den Prozess und die Teams sehr langsam. Hier können neben der richtigen Unternehmenskultur, regelmäßiger Wissenstransfer im Unternehmen auch Pull statt Push Prinzip und eine klare Definition of Done helfen. 

 

Make safety a prerequisite 

Dabei geht es um Sicherheit im googlelischen Sinne (Projekt Aristotle zur Erforschung von erfolgreichen Teams) - also psychologischer Sicherheit. Google hatte 2012 in einer Studie untersucht, was Teams erfolgreicher macht als andere. Wichtigstes Kernelement war dabei psychologische Sicherheit. Das meint nicht eine kuschelige Komfortzone in der alle lieb und nett zueinander sind. Sondern ein Arbeitsumfeld, in dem sich Mitarbeitende auch sicher fühlen können unbequeme Themen anzusprechen. Also keine Bestrafung erhalten, wenn unbequeme Themen angesprochen werden, keine Bloßstellung vor anderen erfahren, keine Schuldzuweisungen erhalten oder Alleingelassen werden. Für psychologische Sicherheit braucht es vor allem eine funktionierende aus Fehlern-Lern-Kultur und eine positive Grundeinstellung (Stichwort: X und Y Theorie).

 

Wie kann das erreicht werden? 

 

  • Vertrauen schaffen 

  • offene und ehrliche Gespräche

  • Suche nach den Fehlerursachen statt Schuldzuweisungen - hier würde es helfen, wenn Ziele nicht an der Erfolg von Produkten geknüpft sind (siehe OKRs)

  • Diskussion über das Produkt - Diskussionen also nicht persönlich nehmen (hier hilft vielleicht das ein oder andere Coaching)

  • Respekt und Wertschätzung (wieder einmal - alles wäre so viel besser, wenn das umgesetzt würde)

  • Vorbereitet sein für den schlimmsten Fall: regelmäßige Mini-Workshops mit der kill-your-company Methode  

  • Aufbau einer Y-Kultur: Jeder geht davon aus, dass alle Mitarbeitenden unter den besten Absichten arbeiten und nur das Beste für das Projekt oder Produkt wollen 

 

Experiment and learn rapidly 

Auch experimentieren und daraus lernen ist wesentlicher Bestandteil von Modern Agile. Das ist für Viele nichts Neues - gleichzeitig scheint auch das schwer umsetzbar zu sein. Denn wir sind gefangen in unseren Verhaltensmustern und dem Gelernten. Wir handeln noch mit den Verhaltensmustern einer vorhersehbaren Welt. In unseren Köpfen ist tief verankert, dass wir genau wissen müssen was am Ende entstehen soll. Ein konkreter Plan führt uns dahin. Betrachten wir jedoch das Cynefin Modell, so können wir schnell erkennen, dass sich die meisten Produkte im komplexen Umfeld befinden. In diesem ist kontrolliertes Experimentieren unerlässlich. Hier sollten wir lieber den Ansatz verfolgen Hypothesen zu bilden und diese in Experimenten zu verifizieren statt Anforderungen festzulegen und diese umzusetzen in der Hoffnung, dass diese zum gewünschten Ergebnis führen.

 

Es ist anstrengend sich in einem so dynamischen und unsicheren Kontext zu bewegen. Um einen besseren Überblick und mehr Klarheit zu erlangen kann ich die Nutzung von Dashboards empfehlen. Denn wenn wir die Unsicherheit beobachten können, gibt uns das Gefühl von Sicherheit und Beeinflussbarkeit. Einfaches Feedback wird ermöglicht und führt anschließend zu mehr Transparenz. Dashboards vereinfachen auch das Erkennen von Stellschrauben und Fehlern und so lassen sich schneller Lessons Learned ableiten.

 

Wie kann dieser Ansatz in den eigenen Teams verankert werden?

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Die Antwort ist unspektakulärer als gedacht: Regelmäßige Reflektion zum aktuellen Reifegrad. Dabei kann ein Spinnenmodell helfen. In dieses können sich die Teammitglieder regelmäßig verorten:

  • Wo stehen wir und was fehlt uns noch?

  • Welche Bereiche sind besonders gut ausgeprägt

  • Wo läuft das Rad noch nicht so rund?

 

Anschließend kann gemeinsam im World-Café Format oder in Ideation Sessions Lösungen erarbeitet werden. Es ist nicht wichtig sofort die EINE WAHRE Lösung zu finden. Die gibt es sowieso nicht. Viel wichtiger ist es, regelmäßig in das Team hineinzuhorchen und gemeinsam Lösungen und Ansätze für die nächsten Schritte zu finden. Meine Empfehlung ist diese Übung hin und wieder in die Retrospektiven einfließen zu lassen. Insbesondere eingespielter Teams können somit an ihrer Kultur arbeiten und sich weiterentwickeln.

 


Weitere Infos und Materialien findet ihr auf der Website von Modern Agile: https://modernagile.org